Der Bremervörder Dirk-Frederik Stelling plädiert gegen Kirchturmdenken zwischen den Kommunen und für junge Politiker im Kreistag
Dirk-Frederik Stelling ist 32 Jahre alt, seit 2021 im Rotenburger Kreistag aktiv, dort unter anderem stellvertretender Vorsitzender im Wirtschaftsausschuss. Der Bremervörder möchte gerne weitere junge Leute in die Verantwortung bringen, anstatt sie lediglich Plakate kleben lassen. Der junge CDU-Politiker, der in seiner Heimatstadt politisch mit der Bundestagsabgeordneten Vanessa-Kim Zobel (37) und Landrat Marco Prietz (36) aufwuchs, spricht im Interview über Karrierechancen und Innovationen im Landkreis.
Sie sind gerade zum zweiten Mal Vater geworden. Wie sehen Sie das Leben und die beruflichen Karrierechancen mit einer jungen Familie im Landkreis?
Ich liebe meine Heimat und das Leben hier. Ich bin fest verwurzelt im Ehrenamt, und der Großteil meiner Familie lebt hier. Unsere Kinder können in ländlicher Umgebung aufwachsen – das ist Lebensqualität für mich. Wir haben wenige Großunternehmen, aber einen starken und innovativen Mittelstand. Qualifizierte Arbeitskräfte werden händeringend gesucht. Insofern sind die Karrierechancen für Fachkräfte gut. Aber wir müssen als Region noch attraktiver werden, um Fachkräfte anzulocken. Der demografische Wandel wird uns in den nächsten Jahren hart treffen.
Sie sind nicht nur in Ihrem Wohnort, sondern auch im Kreistag politisch aktiv. Was motiviert Sie, einer der jüngsten Kreistagspolitiker zu sein?
Ich habe mich sehr gefreut, neben Stadtrat und Ortsrat Bremervörde bei der letzten Kommunalwahl auch in den Kreistag gewählt worden zu sein. Wir sind tatsächlich mit einer ganzen Riege junger Abgeordneter gestartet – ich war nur der fünftjüngste, glaube ich. Im Kreistag muss man sich nochmal mit ganz neuen Themen auseinandersetzen. Der Landkreis ist sehr groß. Die Herausforderungen sind oft ähnlich, aber es gibt immer regionale Besonderheiten. Man muss Interessen ausgleichen. Das zeigt sich insbesondere beim Thema Finanzen. Natürlich sind alle darauf bedacht, dass niemand zu gut oder zu schlecht wegkommt. Aber wer immer nur an seinen Kirchturm denkt, wird auf Kreisebene nichts werden. Ich muss mich genauso mit dem Ratsgymnasium in Rotenburg befassen wie mit dem Gymnasium in Bremervörde.
Wo sehen Sie Ihre Kernkompetenz?
Ich bin Sprecher der Mehrheitsgruppe im Ausschuss für Finanzen, Personal und Organisation sowie stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr. In diesen Bereichen bringe ich meine berufliche Erfahrung als Wirtschaftsförderer beziehungsweise Verwaltungsbetriebswirt ein. Außerdem sitze ich im Ausschuss für Sport und Kultur. Dort geht es insbesondere um die Förderung des Ehrenamts, was mir sehr am Herzen liegt.
Nach Landrat Prietz und der Bundestagsabgeordneten Zobel sind Sie der dritte Senkrechtstarter Ihrer Partei in Bremervörde. Warum finden womöglich andere demokratische Parteien weniger junge Leute, die sich engagieren?
Ich kann hier nur für mich und die CDU sprechen: Wir versuchen, junge, engagierte Mitglieder früh in Verantwortung zu bringen. Nicht nur Plakate kleben, sondern mitentscheiden. Ich bin früh in die Stadtratsfraktion in Bremervörde eingebunden worden und habe als Vorsitzender der Jungen Union schon ein kleines Team führen können. Damals hatte ich noch nicht einmal mein Abi. Das hat mich motiviert und macht bis heute sehr viel Spaß. Die anderen jungen Kollegen wie Marvin Heinrich und Nico Burfeind aus meiner Fraktion oder Joy Rosenberg von der SPD sind in ihren Bereichen sehr aktiv und bringen sich genauso ein wie die älteren Kolleginnen und Kollegen. Da spielt das Alter keine Rolle. Marvin zum Beispiel ist sehr engagiert im Bereich Schule, während Nico in den Feuerwehr-Themen tief involviert ist. Und bei mir sind es halt die Themen Finanzen und Wirtschaft.
Im Kreistag gibt es noch eine junge Frau von der AfD aus Sottrum, die sich engagiert. Wie viele Wortbeiträge, Innovationen oder Nachfragen kommen von ihr oder anderen jungen Leuten aus dem Kreistag?
Frau Kaiser aus Sottrum sehe ich selten. Sie nimmt nicht an allen Kreistagssitzungen teil und sitzt in einem anderen Ausschuss. Ich kann mich an keinen Wortbeitrag von ihr erinnern.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit der im Kreistag vertretenen Parteien untereinander?
Die demokratischen Parteien der Mitte arbeiten ordentlich zusammen. Vieles wird einstimmig entschieden, aber natürlich gibt es auch Meinungsverschiedenheiten. Die werden fair miteinander ausdiskutiert, am Ende muss eine Mehrheit entscheiden. Das wird in den nächsten Jahren nochmal deutlich schwieriger werden, da uns die Finanzen einbrechen. Da müssen schwere Entscheidungen getroffen werden.
Gehört zu diesen Entscheidungen auch, wie Innovationen im Landkreis mehr gefördert werden?
Innovationsförderung im ländlichen Raum ist ein wichtiges Thema – damit habe ich auch meine Arbeit beim Landkreis Osterholz begonnen. Die Landkreise arbeiten bei der Innovationsförderung eng zusammen, da wir alle die gleichen Herausforderungen haben: Viele mittelständische Betriebe und wenige Hochschulen in der Region. Mit der Innovationsagentur Nordostniedersachsen, an deren Konzeption ich beruflich mitgewirkt habe, gibt es eine gemeinsame Gesellschaft der Landkreise, um Innovation in die Region zu bringen und Innovationen, die in den Unternehmen entstehen, zu fördern. Dieser Wissens- und Technologietransfer wird seit vielen Jahren vom Transferzentrum Elbe-Weser aus Stade durchgeführt. Das haben wir mit der Innovationsagentur verstetigt, und die Unternehmen sind sehr zufrieden. Der Landkreis muss aber natürlich auch eine gute Infrastruktur haben, um für Unternehmen von außerhalb attraktiv zu sein.
Was heißt das? Wie möchten Sie die Infrastruktur im Landkreis verbessern?
Beim Breitbandausbau, den Schulen und den Kreisstraßen sind wir schon auf einem guten Weg. Herausfordernd wird die langfristige Finanzierung des Ostemed-Krankenhauses in Bremervörde sein – das kostet uns zurzeit viele Millionen Euro. Wo wir unbedingt weiter Druck machen müssen, ist beim Bau der Küstenautobahn A 20 und den Reaktivierungen der Bahnstrecken. Wir sehen im Landkreis eindeutig, dass die Kommunen in Nähe der Autobahn wachsen. Hier müssen wir in Richtung Land und Bund weiter hartnäckig sein.
Besteht da auch eine Notwendigkeit zur Ausweisung neuer Gewerbeflächen im Landkreis?
Unbedingt! Wir brauchen Gewerbeflächen für Neuansiedlungen und um Bestandsunternehmen die Möglichkeit zur Erweiterung zu geben. Durch den Flächendruck und steigende Baupreise wird die Erschließung schwieriger. Ich denke, hier müssten wir neue Wege gehen und Synergien bündeln. Wieso muss jede Kommune ihr eigenes Süppchen kochen?
Das heißt, Sie streben auch konkret Kooperationen über Kreisgrenzen hinaus an?
Wenn es sich geografisch anbietet, durchaus. Unternehmen denken nicht in Kreisgrenzen. An den Anschlussstellen der künftigen A 20 würden sich interkommunale Gewerbegebiete anbieten. Es muss von beiden Seiten gewollt sein. Dann kann man auch faire Vereinbarungen treffen.
Derzeit arbeiten Sie hauptberuflich noch in der Wirtschaftsförderung des Landkreises Osterholz-Scharmbeck. Sie haben jedoch bereits Ihre Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters in Bremervörde zur Kommunalwahl 2026 bekannt gegeben. Welche Ideen haben Sie für die einzige Stadt im Kreis, die einen Hafen besitzt?
Durch meine Arbeit beim Landkreis Osterholz, ohne Scharmbeck, und zuvor beim Landkreis Stade habe ich gelernt, wie gut man vorankommt, wenn Verwaltung und Politik an einem Strang ziehen. Es mangelt nämlich nicht an guten Ideen, sondern an der Umsetzung. Vieles lässt sich auch erst langfristig umsetzen. In der letzten Wahlperiode haben wir das „Zukunftsbild Bremervörde 2030“ mit der Wirtschaftsgilde erarbeitet. Da steht fast alles drin. Leider wird es nicht gelebt. Ich finde, dass wir uns messbare Ziele setzen und uns daran dann auch messen lassen müssen. Die Einwerbung von Fördermitteln ist zur Umsetzung wichtig. Durch diesen Dschungel muss man sich erstmal zurechtfinden. Da bringe ich berufliche Erfahrung mit. Außerdem sollten wir häufiger Expertise von außen einholen – insbesondere in der Stadtentwicklung. Der Blick eines Externen kann einem neue Perspektiven ermöglichen. Dafür würde ich gern mein Netzwerk nutzen, das ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut habe.
Werden Sie auch im Erfolgsfall als Bürgermeister im Kreistag bleiben wollen?
Nein, als Bürgermeister darf ich gar nicht zugleich im Kreistag sein. Ich werde dann ausschließlich und mit vollem Einsatz Bürgermeister sein. Meine Parteiämter gebe ich schon jetzt ab, um dann auch dem Amt entsprechend überparteilich agieren zu können.
Wie möchten Sie die Wirtschaftsförderung des Landkreises Rotenburg vorantreiben?
Die Wirtschaftsförderung des Landkreises haben wir in dieser Wahlperiode bereits gut aufgestellt. Mein Schwerpunkt wird dann voll und ganz auf der Weiterentwicklung meiner Heimatstadt liegen.
Welche Bedeutung können ein Hafen und der gesamte Tourismus für den Landkreis haben?
Tourismus ist ein wichtiger Faktor für die Region, aber es geht dabei auch immer um das Thema Naherholung für die Menschen vor Ort. Mit dem Vörder See und dem Hafen in Bremervörde haben wir Alleinstellungsmerkmale, die wir weiter attraktiver machen und noch viel besser bewerben müssen. Die Kollegen vom Touristik-Verband und unserer Natur- und Erlebnispark machen da schon einen guten Job. Leider wird aber auch hier häufig zuerst gekürzt, wenn gespart werden muss, da es freiwillige Leistungen sind. Sie haben aber einen hohen Wert für die Einheimischen.
Ralf G. Poppe – Anzeiger Verlag – 23.05.2025
https://www.kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/cdu-mann-will-mehr-miteinander-im-landkreis-rotenburg-93749548.html#Echobox=1748010631